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II.
Grawbündten.

Bey den ersten Römischen Käysern / seyn die Rhaetischen Herrschafften Italien zugerechnet worden. Heutigs Tags werden sie mehrertheils vnter Teutschland (dessen Grentz sich gegen Mittag / vnd Abend / sehr erweitert haben) von vielen nicht vnfüglich geschoben. Sie ligen zwischen gesagten beyden Haupt-Ländern innen / gegen Mittag hangen sie an Italien / vnd gegen Mitternacht an Teutschland. Sie seyn auch wegen ihres Anstosses gegen Auffgang / vnd zum theil Mittag / den Illyriern / vnd gleichsfals der Occidentischen Grentzen halber / den Galliern zu vhralten Zeiten bißweilen zugemessen worden. In diesem Begriff bewohnen die Rhaetier einen theil deß Erdreichs / das sich in gantzen Europa / als männiglich achtet / schier am höchsten gegen dem Himmel erhebet. Zu den Zeiten / als die Rhaetier am weitesten außlangten / haben sie gegen Auffgang an die Noricos gestossen / darinn das Ertzstifft Saltzburg gelegen: Gegen Mittag an das Venediger Gebiet / vnnd Hertzogthumb Meyland: Gegen Abend an die Seduner / Salasser / vnnd auch an einen Theil der Helvetier: Gegen Mitternacht langten sie an die Thonaw / vnd etwas darüber in das alte / oder grosse Teutschlandt hinauß. Was demnach den Vrsprung der Rhaetier anlangt / ist vermuthlich / daß sie nicht alle eines Herkommens seyen / vnder denen vnterschiedlichen Völckern doch die Tuscaner ihre vornembsten / vnd gewissesten Stiffter gewesen / als von denen her der meiste vnd gröste Theil entspringt / welche sich / als sie von dem Belloveso, Baldwyß / oder Weltwysen / vnd seinen Galliern / auß der Lombardy / oder dem Land disseits deß Apenninischen Gebürgs / an beyden Seiten deß grossen Fluß Po / oder Padi, noch zu Tarquinii Prisci, deß Königs zu Rom / Zeiten / vertrieben worden / in die nechstgelegene Alpes / oder Gebürg / vnter ihrem Fürsten / vnd Hauptmann / so Raetus hieß / begeben: Zu welchen folgends auch andere Italiänische Völcker / da Hannibal in Italiam kommen / als in eine Sicherheit / geflohen seyn. Daher auch der Vnterscheyd Raetischer Sprach / (so wir Chur-Welsch heissen /) kommet. Dann das Engadeiner Welsch / Ladin, von den Lateinern / vnnd das vbrig Chur-Welsch / Romanisch / von den Römern / den Namen her hat / daß zwischen diesen beyden Welschen Spraachen etwas Vnderscheyds ist / von deßwegen sie nicht einerley Namen tragen. Dann Ladin ist bey den Engadeinern / von ihrer Stifftung an / je vnd allwegen gewest: Romanisch aber hat sich erst zu denen Zeiten erhaben / als die Römer vber etliche Raetier herrscheten / vnnd dieselbigen zu der Römischen Spraach bringen wolten. Dieweil dann Engadin sein Spraach Ladin heisset / vnnd viel Flecken daselbst sich mit viel Lateinischen / Campanischen / vnd vmbgelegener Orthen Nahmen vergleichen / so vermeyndt man / daß sie auß Latio, Campania, etc. herkommen / vnd das nicht gerad aller erstens mit den vertriebenen Tuscanern / sondern nachfolgender Zeiten: dessen auch der Nam Venones, das ist / Zukommene / bey ihnen / vnd den Vinstgäwern / nit böse Anzeigung gebe. Man hält auch darfür / daß ein Theil dieses Alpen Gebürgs / von den alten Tuscanern / vor den erzehlten Vberfällen der Gallier / wegen der grossen Menge ihres Volcks / mit einer Anzahl Einwohnern / an den besten / vnnd gelegnesten Orthen / besetzt gewest. Den andern Theil achtet man (doch ohne

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Matthäus Merian: Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesiae. , Frankfurt am Main 1654, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Merian_Helvetiae,_Rhaetiae_et_Valesiae_074.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)