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Hüte von den Köpfen flogen – harrte die Menge, – schwankend, mit totblassem Gesicht richtete der eine der gefallenen Soldaten sich auf die Kniee, – dicht vor ihm schlugen die Hufe des Viergespanns schon auf das Pflaster.

Das Bronzegesicht des Monarchen tauchte sekundenlang auf – ein einziger kalter Blick streifte den Garde du Korps – die feindselig-stumme Menge hinter ihm, – und vorüber raste der Wagen.

Erregt, mit verbissenem Grimm stoben die Menschen auseinander. Das war, so schien mir, der rechte Auftakt für das kommende Schauspiel: den Kampf um die Umsturzvorlage, die als erster Gesetzentwurf den Volksvertretern im neuen Hause zur Entscheidung vorlag.

Unter kriegerischem Gepränge war es heute geweiht worden, – Kriegszeiten standen bevor.

Auf dem Wege durch den feuchtdunstigen Tiergarten war mein Plan gefaßt, und noch ehe Georg aus der Universität zurückkam, lag meine „Erklärung“ schon auf dem Schreibtisch. „Im Namen des weiblichen Geschlechts protestieren wir unterzeichneten Frauen gegen die Umsturzvorlage,“ begann sie, und weiter hieß es darin: „‚Beschimpfende Äußerungen gegen Ehe und Familie‘ gefährden das sittliche Leben des Volkes nicht so sehr wie die gesetzliche Sanktionierung der Unsittlichkeit; und nicht durch ‚Kundgebungen‘ werden ‚weite Bevölkerungskreise zu dem Glauben verführt, daß die Grundlagen unseres Lebens auf Unwahrheit und Ungerechtigkeit‘ beruhen, sondern durch eine Gesetzgebung, die die Hälfte des Menschengeschlechts, die Mütter der Staatsbürger, mit Unmündigen, Wahnsinnigen und Verbrechern auf

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/647&oldid=- (Version vom 31.7.2018)