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lachte – schwatzte – höhnte rings um mich her: vom „Gipfel der Geschmacklosigkeit“ sprach der Eine, – so hatte S. M. jüngst in Italien den Bau Wallots bezeichnet –, von der leeren Tafel über den Toren erzählte der andere, die auf die Inschrift „Dem deutschen Volke“ vermutlich vergebens warten würde; – „den Junkern und Pfaffen, – wirds statt dessen heißen,“ fügte bissig ein Dritter hinzu. „Wenn man die Umsturzvorlage det janze Dings nich umstürzen wird,“ zischelte es dicht neben mir. Der stramme Polizeileutnant, der hier Wache hielt, wandte stirnrunzelnd den Kopf. In offenem Wagen fuhren die Abgeordneten vorüber: Zivilisten mit glänzenden Zylindern auf dem Kopf und bunten Bündchen im Knopfloch, auf den Zügen den Ausdruck ernsthafter Wichtigkeit, Geistliche in der schwarzen Soutane mit runden glänzenden Gesichtern; Reserveoffiziere, denen der enge Kragen das Blut blaurot in die Stirne trieb, und deren bunter Rock sich in Falten über Brust und Leib spannte. „Drum müssen sie ooch alle stramm stehen vor dem obersten Kriegsherrn, – die M. d. R.s –“ zischelte dieselbe Stimme wie vorhin.

Aufgeregt sprengten die Polizisten noch einmal hin und her, – ihre Pferde drängten die angstvoll aufkreischenden Zuschauer zur Seite.

Vom Schloß die Linden hinunter trabte eine Schwadron Garde du Korps in glänzender Uniform mit wehenden Fähnlein. Da plötzlich ein klirrender Stoß – ein Schrei, – und zwei Reiter wälzten sich unter ihren Pferden.

Im gleichen Augenblick nahte ein Wagen: der Kaiser! Schweigend – erwartungsvoll – kaum, daß ein paar

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/646&oldid=- (Version vom 31.7.2018)