alles Klatschen hindurch. Und ich vergaß mein Versprechen und sprach von der Sozialdemokratie, von „den Rittern der Arbeit, die heute die einzigen Ritter der Frauen sind.“
Jetzt brauste der Beifall wie der Frühlingssturm, der die dürren Blätter jauchzend niederschüttelt, um den jungen Knospen Licht und Luft zu schaffen …
Die folgenden Tage waren ein einziger Ikarussturz, – nur daß die Arme der Liebe mich auffingen, ehe ich den harten Boden berührte. Im Verein Frauenrecht kam es fast zu einem Staatsstreich, um den Vorstand aus dem Sattel zu heben; mit Vorwürfen wurde ich überschüttet. Die Zeitungen berichteten halb höhnisch, halb wegwerfend über die „verkappte Genossin“, konservative Blätter unterließen nicht, den „unerhörten Seitensprung der Frau eines preußischen Universitätsprofessors“ an die große Glocke zu hängen, und Georg kam eines Morgens ernst und versonnen aus seiner Vorlesung zurück: „Althoff hat mir einen wohlmeinenden Wink gegeben!“ sagte er. Auch mein Vater erschien und machte mir eine Szene, als wäre ich noch zu Haus.
„… Mit Fingern weisen die Leute auf mich … Im Reichstag – im Klub kann ich mich nicht mehr sehen lassen …“ schrie er. Georg hatte sich, auf beide Hände gestützt, hoch aufgerichtet.
„Exzellenz vergessen,“ sagte er kalt und scharf, „daß Sie sich bei mir befinden!“ Einen Moment lang maßen sich die beiden Männer mit einem Blick angriffsbereiter Feindschaft, dann verließ mein Vater wortlos das Zimmer, und erschöpft sank Georg in den Stuhl zurück.
Von Mama erhielt ich einen langen Brief: „Ich bin
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/624&oldid=- (Version vom 31.7.2018)