„Das ist alles ganz schön und gut, aber nichts für uns deutsche Frauen,“ meinte kopfschüttelnd ein rundliches, bebrilltes Persönchen, dessen Doktortitel sie mir äußerst interessant erscheinen ließ; „wir würden das Wichtigste gefährden: die endliche Zulassung der deutschen Frauen zum Medizinstudium, wenn wir so bedenkliche Fragen wie die politischer Rechte berühren wollten!“
„Und unser Verein, der sowieso schwer genug kämpfen muß, würde zweifellos seine einflußreichsten und opferwilligsten Mitglieder verlieren,“ jammerte ein dürre alte Jungfer.
„An das Gefährlichste denken Sie natürlich zuletzt, meine Damen,“ fügte eine Dritte hinzu und setzte eine geheimnisvoll-wissende Miene auf. „Angesichts der jetzigen Strömung innerhalb der Regierungskreise würde es unseren Verein politisch anrüchig machen und der Gefahr der Auflösung aussetzen, wenn wir öffentlich eine sozialdemokratische Forderung aufstellen würden.“
„So lassen Sie doch den Verein zugrunde gehen; sein Märtyrertum wird nur der großen Sache nützen!“ rief ich ungeduldig. Mitleidiges Lächeln, mißbilligendes Kopfschütteln waren die Antwort. Es blieb bei der Ablehnung, das letzte Argument war ausschlaggebend gewesen.
„So werde ich versuchen, Helma Kurz und ihren Verein zu gewinnen.“ Ohne jeden Nebengedanken hatte ich ausgesprochen, was mir eben durch den Kopf gegangen war.
Frau Vanselow, die mir bisher nur vielsagend-melancholische Blicke zugeworfen hatte, war aufgesprungen. „Helma Kurz?! – Niemals!“ rief sie. „Das, meine
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/619&oldid=- (Version vom 31.7.2018)