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– meine liebe junge Freundin –, Sie werden ihre Wünsche vor unserem Vorstand selbst vertreten?“

Ich versprach ihr, was sie wollte, und wandte mich, als sie fort war, mit einem triumphierenden „Nun?!“ an Tondern. Er fuhr, wie erschrocken, aus seiner Schweigsamkeit auf: „Erlassen Sie mir die Antwort! Sonst entdecken Sie am Ende noch Ihre Seelenverwandtschaft mit S. M., und verlangen von dem Nörgler, daß er den Staub von seinen Pantoffeln schüttele!“ Und mit überstürzter Hast empfahl er sich.

Frau Vanselow führte mich im Vorstand des Vereins Frauenrecht ein: „Sie werden sich mit mir freuen, meine Damen, daß es mir gelungen ist, diese junge vielversprechende Kraft gerade unserem Verein gewonnen zu haben.“ Die Damen begrüßten mich mit neugierig-kühler Reserviertheit. Ich war doch wieder in recht beklommener Stimmung. All diese Frauen, die seit Jahrzehnten in der Bewegung standen, die an Wissen, an Erfahrungen, an Verdiensten reich waren, sollte ich – ein Neuling auf allen Gebieten – meinem Willen gefügig machen!

Aber je öfter ich mit ihnen zusammenkam – und es bedurfte zahlreicher Sitzungen, um nur um kleine Schritte vorwärts zu kommen –, desto mehr erstaunte ich. Es war, als ob der Verein um ihr Denken und Streben eine Mauer gezogen hätte. Von dem, was jenseits lag, wußten sie nichts, und nur widerstrebend ließen sie sich von mir an einen Ausguck ziehen, von wo aus sie den Feminismus im Ausland, seine großen Kämpfe und Siege und den Stand der Stimmrechtsbewegung überschauen konnten.

Empfohlene Zitierweise:
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/618&oldid=- (Version vom 31.7.2018)