Eröffnung bürgerlicher Berufe, um höhere Bildung. Sie kämpfte?! Ach nein; sie hatte in Vereinen und Vereinchen Resolutionen und Petitionen verfaßt, – aber die Welt außerhalb ihrer Kreise wußte nichts von ihr. Ich las die Broschüren von Helma Kurz; ich besuchte Frau Vanselow, die ich bei Egidy kennen gelernt hatte, und deren Ruf, von allen Frauenrechtlerinnen die radikalste zu sein, sie mir sympathisch machte. Aber die Tendenzen ihres Vereins und seines kleinen Organs waren keine anderen als die der Kurz.
„Ich begreife nicht, wie Sie bei solchen Forderungen stehen bleiben können!“ rief ich, als Frau Vanselow mir ihre Prinzipien auseinandersetzte. „Und wenn wir schon Pastoren, Professoren und Advokaten werden können, was haben wir dann besonderes, als einige Berufsphilister und Bildungsproleten mehr! Damit ist die Frauenfrage ebenso wenig gelöst, wie sie etwa bei den Arbeiterinnen gelöst ist, die längst das Recht haben, zu schuften wie die Männer.“
„Ich bin ganz Ihrer Meinung – ganz und gar –“ nickte Frau Vanselow eifrig und hob die schweren Lider von den berühmt schönen Augen – „aber wir müssen vorsichtig – sehr vorsichtig sein, um zunächst nur einzelne Konzessionen zu erringen. Sie sind jung, – kämpfen Sie erst so lange Jahre wie ich, meine liebe Freundin, und Sie werden einsehen, daß wir Frauen nur Schritt für Schritt vorgehen dürfen. Ich besonders habe schwer zu ringen – niemand versteht mich – meine Vereinsdamen sind die Ängstlichkeit selbst, –“, sie griff nach meiner Hand und behielt sie in der ihren – „wie froh wäre ich, in Ihnen eine frische Hilfskraft gewinnen zu können!“ Ich errötete
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/610&oldid=- (Version vom 31.7.2018)