Wir fuhren miteinander hinaus nach Chorin, einem jener stillen melancholischen Waldwinkel der Mark, wo schwarze Kiefern sich in kleinen tiefen Seeen spiegeln, und in zerbröckelnde Klosterruinen der mattblaue Himmel hineinscheint. Freunde des Dichters erwarteten ihn hier, und ein fremder „Kollege“, wie er sich mit einem seltsam feinen Lächeln nannte, war dabei: Detlev von Liliencron.
Niemand ist in seiner Wahrhaftigkeit so unbarmherzig wie die Natur. Sie scheidet grausam Echtes vom Unechten, ihr Licht, das durch keine Schleier und keine Papierlaternen gedämpft wird, beleuchtet grell, was am Menschen ihr entspricht, und was ihn von ihr trennt. Frauen mit kunstvollen Lockengebäuden auf zarten Köpfchen, in modischen Kleidern und zierlichen Hackenschuhen, die in der Stadt schön sind und im Salon blenden, wirken, wo die Natur herrscht, plötzlich halb lächerlich, halb gespensterhaft. Und moderne Männer mit lüstern-blasiertem Lächeln und der „interessanten“ Blässe endloser Kaffeehausnächte auf den Zügen, richtet sie ohne Nachsicht, als das, was sie sind. Werfen sich diese Damen und Herren in dem instinktiven, unbehaglichen Gefühl, zu sein, wo sie nicht hingehören, aber gar in Dirndlkostüme und Lodenjoppen und setzen naiv grüne Hütchen auf ihre gebrannten Haare und müden Glatzen, so tritt ihre gräßliche Disharmonie zur Natur in tragischer Deutlichkeit hervor, und von den geistreichen Helden und Heldinnen großstädtischen Lebens bleibt nichts übrig als die armselige Maske kleiner Vorstadtkomödianten.
Aber auch große Menschen vermögen der Natur nicht
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 565. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/567&oldid=- (Version vom 31.7.2018)