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– aber konnte – durfte ich den Kranken durch meine überraschende Ankunft erschrecken? Sah das nicht doch vielleicht nach einem unwürdigen Sichaufdrängen aus? Ich errötete unwillkürlich. Auf dem Bahnhof bat ich ihn telegraphisch um Nachricht über sein Befinden und kündigte meine Rückkehr an. Dann erst fuhr ich hinauf in die stille Tragheimer Kirchenstraße mit ihrem ausgefahrenen Pflaster und ihren altersgrauen Häusern. Welch eine strenge, ernste Stadt ist doch dies Königsberg, dachte ich; eine Stadt, die in jedem Winkel an den Ernst des Lebens erinnert und ihre Bürger zwingt, still in sich selbst Einkehr zu halten. Wäre ich hier aufgewachsen, vielleicht hätte meine Sehnsucht nie über ihre Wälle und Gräben hinaus verlangt!

Im phantastischen Kostüm einer Zarewna, Augen und Wangen glühend vor Eifer, empfing mich Lisbeth. So – gerade so hatte ich sie einmal in Schwerin auf der Bühne gesehen. Was sie spielte, vergaß ich oder wußte es nie. „Wie schön sie ist!“ hatte ich damals bewundernd geflüstert „Du – du bist viel tausendmal schöner –“ war mir aus dem Dunkel der Loge heiß ins Ohr geklungen …

Ein Wortschwall zärtlicher Begrüßung entriß mich dem Taumel der Erinnerung. Still – ein bißchen verlegen, die Augen in offenbarer Bewunderung auf seine Frau gerichtet, stand ihr Mann daneben, der typische deutsche Professor, mit kurzsichtig zwinkernden Äuglein und linkischen Bewegungen. Ich wurde hineingezogen. In eine Laube von blühenden Sommerblumen war das Wohnzimmer verwandelt, grüne Girlanden hingen von der Decke herab, bunte Lampions schaukelten dazwischen.

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/557&oldid=- (Version vom 31.7.2018)