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Betätigung verlangt, deren geistige Kräfte, ihnen selbst vielleicht oft kaum bewußt, schon im Dienst der großen Menschheitssache stehen, – denken Sie nur an all unsere jungen Künstler und Schriftsteller!

Wenn der Kaiser jetzt gegen die moderne Kunst redet, Burgen mit Schießscharten baut und Wildenbruch und Lauff zu Hofpoeten macht, so spricht das nicht nur für seinen Scharfsinn, der die Revolution wittert, wo andere nur die blaue Blume neuer Dichtung sehen, sondern er zeigt sich abermals als unser bester Agitator, der nun auch die geistigen Arbeiter in die Schranken ruft. Wir sollten jetzt zur Stelle sein und das Eisen ihrer Entrüstung schmieden, solange es warm ist.

Vielleicht, daß ich demnächst nach dieser Richtung einen ersten Versuch machen kann. Eine alte Freundin von mir, einstiges Mitglied des Schweriner Hoftheaters, die mit einem Königsberger Professor verheiratet ist, lud mich ein. Zuerst zögerte ich, hinzugehen: sie konnte, solange sie Schauspielerin war, das gutbürgerliche Milieu, aus dem sie stammte, nicht vergessen; und nun, da sie dorthin zurückkehrte, klebt ihrem Wesen die Erinnerung an die Bühne an. Aber die Aussicht, Sindermann, einen jungen Schriftsteller, bei ihr kennen zu lernen, war entscheidend, und ich warte nur noch auf die Bestimmung des Tages, um hinzufahren. Ein Mann, der durch seine Werke der bürgerlichen Welt das Verdammungsurteil ins Gesicht schleudern konnte, gehört von vornherein zu uns und müßte der Bannerträger des Emanzipationskampfs der geistigen Arbeiter werden.

Verzeihen Sie den langen Brief. Ich habe hier

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/553&oldid=- (Version vom 31.7.2018)