den bestehenden Bau erschüttern hilft, können wir doch nicht gemeinsam wirken, weil unser Ziel weit über das von Herrn von Egidy gesteckte hinausführt … Da also der Berg nicht zu Mohammed kommen kann, muß Mohammed eben zum Berge kommen! …“
Hier war kein Satz, dem ich hätte widersprechen können: gewiß, seine Partei konnte sicher und ruhig ihren Zielen entgegen gehen; sie bedurfte unser nicht. Aber eines, so schien mir, vergaß Bebel: daß es neben dem Proletariat Millionen Menschen gibt, die nicht nur der endlichen Erlösung ebenso würdig und bedürftig sind, die sich vielmehr auch im Augenblick, wo die Arbeiterklasse schon die Fahne des Sieges aufzupflanzen imstande wäre, ihr wie eine Barriere in den Weg stellen würden. Mich und meinen Glauben an unsere Sache entmutigte weder Egidy noch Bebel. Und der Professor – dessen war ich gewiß – würde nicht anders denken als ich.
Mit Bebels Brief in der Hand, überschritt ich wieder einmal den engen Hof, die dunkle Treppe, den lichtlosen Flur, und stand schon vor seiner Türe, als eine Stimme von innen meinen Fuß stocken ließ. Sie klang tief und warm und hatte jenen österreichischen Akzent, der uns Norddeutsche, wie alles, was vom Süden kommt, so seltsam anheimelt.
„Alle Ströme fließen in unser Meer …“ sagte sie.
„Ich bin ganz Ihrer Meinung und wünschte, daß Ihre Partei uns ebenso einschätzt: als einen Nebenfluß, der ihr reiche Schätze zuzutragen vermag,“ antwortete der Professor. Noch ein Stühlerücken, ein paar Höflichkeitsphrasen, ein fester Tritt, – ich öffnete rasch die Türe, um nicht als Horcherin ertappt zu
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/541&oldid=- (Version vom 31.7.2018)