Namen verpflichten müssen. Sogar an Bebel hat sich Ihr Freund, der asketische Kandidat der Theologie, neulich gewandt – –“
„Gewiß – und mit meiner Zustimmung,“ unterbrach mich Egidy, „das Christentum schließt, wie alles andere Entwicklungsfähige, so auch den Sozialismus in seinen lebensfähigen und würdigen Forderungen in sich. Und einem Führer, wie Bebel, hätte ich eine richtigere Einsicht zugetraut. Wollen Sie seine Antwort lesen?“
Ich bejahte lebhaft und las den Brief nicht nur, sondern schrieb ihn auch ab, um ihn Glyzcinski zeigen zu können. Es hieß darin: „… Das Bürgertum sieht die Religion heute als eins der wirksamsten Kampfmittel gegen die Sozialdemokratie an. Daher die Macht, die seit zwölf bis fünfzehn Jahren das Pfaffentum erlangte, und die Erscheinungen, die Herrn von Egidy zu seinem Kampfe gegen die herrschende Strömung aufreizten. Die Bürgerklasse, obwohl meist freigeistig, wird sich daher in ihrer Masse den Bestrebungen des Herrn von Egidy fernhalten, andererseits kann sich auch die Sozialdemokratie nicht für diesen Kampf begeistern, weil seine Ziele ihrer Natur nach nur eine Halbheit sein können und an dem sozialen und politischen Zustande, der hauptsächlich auf den Massen lastet, und dessen Beseitigung ihre Hauptaufgabe ist, nichts ändert. Sich für die Bestrebungen des Herrn von Egidy unsererseits zu engagieren, hieße unsere Kräfte zersplittern, aber auch zugleich seine Bestrebungen als sozialdemokratische stigmatisieren und ihm die Mehrzahl seiner Anhänger vertreiben … Voller Sympathie also für die Sache an sich, insofern uns jeder Kampf gegen bestehende Übel willkommen ist und
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/540&oldid=- (Version vom 31.7.2018)