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diesem prachtvollen Menschen, daß ich dir noch einmal verzeihe und deine Freiheit nicht antasten will.“

Noch am Abend brachte der Diener Glyzcinskis mir ein paar Zeilen von ihm: „Eben verläßt mich Egidy. Sein Besuch war mir eine doppelte Freude: Ich erfuhr, daß er Ihre Mutter beruhigen konnte, und lernte einen Mann kennen, wie es – trotz all seiner Schrullen und Eigenheiten – wenige geben mag. Nicht wahr, nun darf ich auch hoffen, daß Sie bleiben werden und bei mir wieder jeden Nachmittag Sonntag ist?!“

Egidy selbst schrieb mir nur vier Worte: „Hab ichs recht gemacht?!“


Ein politisches Ereignis von weittragender Bedeutung sollte dem Einigen Christentum Egidys und der Ethischen Bewegung, die bisher beide einen verhältnismäßig kleinen Kreis Getreuer umfaßten, gewaltigen Vorschub leisten: der Zedlitzsche Volksschulgesetzentwurf. Wer die Wissenschaft vertrat, oder einen auch nur gemäßigten Fortschritt, fühlte sich in seinen Idealen persönlich verletzt und suchte nach Gleichgesinnten, um den Mut zu gemeinsamen Protesten zu finden, den er für sich allein nicht aufbrachte. Die sich Christen nannten, strömten Egidy zu, die Juden und die Freidenker zeigten ein täglich wachsendes Interesse an der Ethischen Bewegung. Egidy selbst war zuerst so gedrückt durch die Täuschung, die sein Vertrauen auf den Kaiser gefunden hatte, – denn daß der Entwurf dessen persönlichstes Werk war, daran zweifelte kaum einer –, daß die neue Anhängerschaft ihn dafür nicht

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/538&oldid=- (Version vom 31.7.2018)