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zu denken, daß mir nicht einfiel, wie sehr ich Sie dadurch erschrecken könnte!“

„Sie haben nur, wie immer, zu gut von mir gedacht, und ich bedarf ihrer Verzeihung, – nicht umgekehrt,“ antwortete ich. „Sie müssen Geduld mit mir haben, – ich muß mich erst an die Neuheit des Gedankens gewöhnen. Ich weiß ja auch im Grunde gar nichts vom Wesen des Sozialismus. Vieles, was ich hörte, stimmte wohl mit meinen eigenen Ansichten überein, vieles aber hat mich immer abgestoßen –.“

„Ich werde wieder meine stummen Freunde für mich sprechen lassen!“ Und Glyzcinski bezeichnete mir die Bücher und Broschüren, die ich aus seinem Bücherschrank nehmen sollte. „Nur eins möchte ich Ihnen gleich heute sagen: Auf dem Wege wissenschaftlichen Studiums bin ich zu meinen ethischen Überzeugungen gelangt, auf demselben Wege habe ich erkannt, daß die Entwicklung zum Sozialismus eine gesetzmäßige, unabänderliche ist, gleichgültig, ob unser Gefühl sich dagegen sträubt oder nicht. Nachdem ich das aber einmal erkannt habe, kann es für mich von meinem ethischen Standpunkt aus keine andere Wahl geben, als die, mich in den Dienst der Entwicklung zu stellen und mit allen Kräften dahin zu wirken, daß sie eine möglichst friedliche, das Glück der Menschen möglichst wenig gefährdende sei. Andere denselben Weg der Erkenntnis zu führen, den ich gegangen bin, – das ist daher meine Aufgabe –, das ist die Aufgabe, die die Ethischen Gesellschaften haben sollten.“

„Und Sie glauben, daß die Menschen sich dahin führen lassen werden?!“

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/524&oldid=- (Version vom 31.7.2018)