du mir machst?“ Er lief aufgeregt im Zimmer umher, während helle Schweißtropfen auf seiner Stirne standen.
Ich zwang mich zur Ruhe: „Du weißt wohl nicht, was du sagst, Papa! Herr von Glyzcinski ist ein Schwerkranker, meinen Besuch kann niemand mißdeuten!“
Aber die Wut, in die er sich hineingeredet hatte, steigerte sich nur noch mehr. Ich versuchte das Zimmer zu verlassen, während Mama und Klein-Ilschen, vor Schrecken stumm, sich nicht zu rühren wagten.
„Du bleibst!“ schrie mein Vater und packte mein Handgelenk. „Versprich mir, daß dieser Besuch der erste und der letzte war, und ich will ihn vergessen!“ Und gleich darauf ruhten seine Blicke mit einem Ausdruck liebevoll besorgter Bitte auf mir. Mein Herz krampfte sich zusammen: Sinnlosem Zorn konnte ich die Stirne bieten, – aber der Liebe?! Ich schloß eine Sekunde lang die Augen: Wer den Pflug anfaßt…!
„Ich kann dir diesen Wunsch nicht erfüllen, Papa!“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte er mich an. Dann brach der Sturm von neuem los. Auch meine Mutter mischte sich hinein, – von den teuflischen Verführungskünsten des Gottesleugners hörte ich sie etwas sagen, auch von Weimar sprach sie und versuchte, mich zu bestimmen, meinen für das nächste Frühjahr beabsichtigten Besuch auf die allernächsten Tage festzusetzen. An meinen Ehrgeiz, an meine Eitelkeit appellierte sie, während meines Vaters Stimmung, wie stets nach einem solchen Ausbruch der Leidenschaft, immer weicher wurde. „Wir sind an allem Schuld, wir allein,“ sagte er, „wir haben dir keinen Verkehr verschafft, wie du ihn zu fordern ein Recht hast. Aber das soll anders – ganz anders
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/516&oldid=- (Version vom 31.7.2018)