„Du bist doch nun einmal dem Tintenteufel verfallen,“ meinte er, „nun kannst du es wenigstens auf eine standesgemäße Weise sein.“
Ich schwieg. Sollte ich ihm den Schmerz bereiten und ihm sagen, daß die Fesseln des „Standesgemäßen“ mir schon jetzt schmerzhaft genug ins Fleisch schnitten?
Auch im Kreise der Goethe-Zeitschrift verstand man mich nicht.
„Der Großherzog selbst fordert Sie auf und bietet Ihnen seine Hilfe an, und Sie haben noch Bedenken, nach Weimar zu gehen?!“ sagte Professor Fiedler, als ich einmal wieder zu einer größeren Abendgesellschaft bei ihm war. „Nur Ihre schriftstellerische Jugend bietet mir eine Erklärung dafür! Was viele Gelehrte vergebens wünschten – Zugang zu den verschlossenen Schätzen Weimars –, wird Ihnen hier entgegen getragen, und Sie greifen nicht mit beiden Händen zu! Das bedeutet doch nichts anderes, als eine Sicherstellung Ihrer literarischen Zukunft, als den Beginn einer großen Karriere.“ Ich hatte ihm und seiner Unterstützung schon zu viel zu verdanken, als daß sein Zureden ohne Eindruck hätte bleiben können.
„Sie haben persönliche Beziehungen zum Großherzog von Sachsen-Weimar?“ mischte sich ein anderer Gast ins Gespräch, der mich bisher von der Höhe seiner Berühmtheit und seiner vielbewunderten Ähnlichkeit mit Goethe kaum eines flüchtigen Grußes gewürdigt hatte. Ich erzählte von Großmamas Freundschaft mit Karl Alexander. Der Kreis um mich vergrößerte sich. Man erging sich in Lobeserhebungen des Fürsten, über den ich in meinen Kreisen immer nur hatte lachen und spotten hören.
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/470&oldid=- (Version vom 31.7.2018)