ein Riegel vorgeschoben. Die gesamte Familie – die durch Onkel Walters und Maxens, durch Tante Jettchen und ihre Kinder und Enkel erschreckende Dimensionen angenommen hat – unterstützt natürlich im stillen die Sache, und das reizt mich zum Widerspruch.
Na, überhaupt die Familie! Die Familiensonntage vor allem, wo man sich mittags und abends genießt, meist fünfzehn bis zwanzig Mann hoch! Nur eins ist für mich dabei wohltuend: daß ich mich wieder einmal so recht intensiv als das einzige schwarze Schaf empfinde.
Seit Stöckers Abschied ist der Antisemitismus geradezu epidemisch geworden, gerade so, wie der Kultus Bismarcks – wenigstens in den Kreisen meiner lieben Verwandtschaft – erst nach seinem Sturz ins Kraut schoß. Und ein Staatsanwalt würde Karriere machen, wenn er das Geschimpfe auf S. M. mit anhören könnte, – vorausgesetzt, daß die Delinquenten nicht preußische Edelleute, sondern internationale Sozis wären! Der adlige Klub am Pariser Platz, wo nur die Alleredelsten der Nation aufgenommen werden und Papa und die Onkels täglich verkehren, ist der Mittelpunkt der Fronde; Ströme von Skandalosa fließen aus seinen Türen in die Welt, und ich könnte aus lauter Widerspruchsgeist – der zuweilen zur Objektivität erzieht – fast zur Verteidigerin des ‚neuen Herrn‘ werden, wenn er nicht selbst der sich kaum schüchtern entwickelnden Anerkennung immer wieder einen Fußtritt gäbe, so daß sie zusammenknickt wie ein Veilchen unter dem Nagelschuh. Du kannst Dir denken, wie es mich z. B. begeisterte, als er in der Schulreform die Initiative ergriff, und welche Hoffnungen ich an die Konferenz knüpfte. Und dann
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/461&oldid=- (Version vom 31.7.2018)