Seite:De Memoiren einer Sozialistin - Lehrjahre (Braun).djvu/447

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

auch Millionen für dich ausgegeben haben, wenn ich sie gehabt hätte .…“

Das konnt ich nicht mehr mit anhören, – wie gejagt lief ich in den Garten hinunter.

Und böse war die Zeit, die folgte: der Vater in der gedrücktesten Stimmung, jeder Blick, den er auf seine Frau warf, ein Betteln um Liebe, während sie kaum die notwendigsten Worte mit ihm wechselte und mit peinigender Betonung bei jeder Gelegenheit Sparsamkeit predigte, – das Schwesterchen dazwischen, das sich um so leidenschaftlicher an mich anklammerte, je unheimlicher es ihm bei den Eltern zumute wurde, – und schließlich ich selbst, müde und herzenswund, und dabei krampfhaft bemüht, der Kleinen Lehrerin und Spielkamerad zugleich zu sein und dem Vater Frohsinn vorzutäuschen, um ihn zu erheitern.

Draußen glühte und glänzte der Sommer. Ein einziger grüner Dom war der Wald, die grauen Stämme der Buchen seine gewaltigen Säulen, der Duft der Tannen sein würziger Weihrauch. Und doch floh ich vergebens hinaus, um hier zu finden, was ich einst im Hochgebirge gefunden hatte: Kraft und Weihe. Menschenmassen überfluteten jetzt Berge und Täler; ihre niedrigen Eitelkeiten, ihre verstaubten Interessen trieben den Frieden und die Andacht aus den Wäldern. Und die Natur hatte sich ihnen allmählich angepaßt: mit ihren geebneten Parkwegen, ihren umzäunten Rasenflächen und gepflegten Blumenbeeten war sie nichts, als ein Salon im Freien.

Alte Freunde aus Münster, die zur Reitschule nach Hannover kommandiert worden waren, besuchten uns

Empfohlene Zitierweise:
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/447&oldid=- (Version vom 31.7.2018)