aus den Vorstädten Posens und Augsburgs, aus den Dörfern des Samlands.
„Sie mögen recht haben,“ sagte ich nachdenklich, „die kenn’ ich nicht – aber andere kenn’ ich. Und das Eine weiß ich gewiß –“ meine Stimme zitterte vor Erregung – „wäre ich eine von denen, meine Geduld wäre erschöpft, und ich würde mich um Treue und Pflicht nicht kümmern.“
Syburgs blasses Gesicht hatte sich mit tiefer Röte überzogen; doch die Herrin des Hauses hob die Tafel auf, und er unterdrückte noch rasch eine scharfe Antwort, die ihm offenbar auf den Lippen schwebte. Während des ganzen warmen Frühlingsabends, der uns alle in den Park hinauslockte, mied er mich. Nur beim Abschied hielt er meine Hand fest in der seinen und flüsterte: „Ich möchte, daß wir uns versöhnen – ganz und auf immer –, darf ich darauf hoffen, wenn ich nach Hohenlimburg komme?“ Ich nickte nur.
Wir blieben über Nacht in Brake, um den bequemen Frühzug benutzen zu können. Aber als wir am nächsten Morgen herunterkamen, trat uns der alte Bodenberg mit ernstem Gesicht entgegen. „In Witten und Annen hat das Militär scharf geschossen,“ sagte er, „in Dortmund soll die Haltung der Arbeiter eine drohende sein – nach Hörde sind, wie mein Verwalter eben berichtet, die Kürassiere unterwegs. Wenn auch die Stimmung der Leute in unserer nächsten Nachbarschaft vollkommen friedlich ist, so möchte ich Sie doch bitten, diesen Tag noch abzuwarten – oder wenigstens Ihre Damen hier zu lassen –“ So sehr wir uns sträubten – Anna, weil die Gesellschaft des alten Ehepaars sie langweilte,
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/401&oldid=- (Version vom 31.7.2018)