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der letzten Jahre ausschließlich den Besitzern und Aktionären, nicht aber den Bergleuten zugute kam. Hier hakt notwendigerweise die sozialdemokratische Agitation ein.“

„Sie sehen, was das betrifft, sicher zu schwarz, lieber Limburg,“ sagte Graf Recke, „jedenfalls, soweit unser hörder Kreis in Frage kommt. Unsere frommen, königstreuen Bergleute – und Sozialdemokraten! Selbst ihre Versammlungen schließen sie mit einem Hoch auf den Kaiser!“

Hessenstein räusperte sich vernehmlich: „Und doch haben mir heute morgen ein paar Kameraden von den Dreizehnern erzählt, daß die Direktoren der Zeche Schleswig gleichfalls um militärischen Schutz gebeten haben. Man fürchte Ausschreitungen gegen Streikbrecher, hieß es.“

Bodenberg lachte, daß ihm die Tränen in den weißen Bart liefen: „Das ist wirklich kostbar! – Die Furcht ist schon die ansteckendste Krankheit! – Viel eher möcht’ ich glauben, daß unsere Dorfschönen sich auf diese ungewöhnliche Weise für den morgigen Feiertag die Tänzer bestellten, die ihnen wahrscheinlich ebenso fehlen wie uns!“

Schweigsam hatte Syburg bis dahin zugehört. Sein kühler, hochmütig-wissender Ausdruck – der typische des altpreußischen Beamten – reizte mich.

„Ihre landrätliche Würde verbietet Ihnen wohl, sich auszusprechen?“ wandte ich mich spottend an ihn, und als er, unangenehm überrascht, aufsah, fügte ich rasch hinzu: „Oder sollten Sie ketzerische Gedanken zu verbergen haben?“

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/399&oldid=- (Version vom 31.7.2018)