„Angsthase, der du bist! Wenns in Münster brennt, wirst du in Limburg noch nach der Feuerspritze laufen!“ Der Fürst lachte und streichelte der kleinen Frau begütigend die Wangen.
„Sei ruhig, Kindchen – natürlich fahren wir! Brake ist, Gottlob, weit vom Schuß, und im dortmunder Kreis scheint alles ruhig zu sein.“
Aber je mehr wir uns auf der Fahrt aus den grünen Bergtälern entfernten, und je zahlreicher die zum Himmel starrenden Essen wurden, desto stärker sprach ihr Anblick für ungewöhnliche Vorgänge: das Leben, das ihnen sonst in grauen Wölkchen, in schwarzen Schwaden, in tollem Funkensprühen vielgestaltig entquoll, war erloschen. Ungehindert strahlte die Maiensonne vom wolkenlosen Himmel; wie ein Feiertag wars.
Im grauen Herrenhaus zu Brake, das, von einem Wassergraben umgeben, mit seinen dicken Mauern und kleinen Fenstern düster ins weite ebene Land hinaussah, wurden wir freudig empfangen. Viele hatten im letzten Augenblick abtelegraphiert, vor allem fehlte es an jungen Herren für die tanzlustigen Mädchen, sie waren entweder mit ihrer Truppe im Streikgebiet um Gelsenkirchen oder mußten in ihren Garnisonen aller Befehle gewärtig sein. Nur Syburg trat mir entgegen – mit einem so freudigen Aufleuchten in den sonst so unbeweglichen Zügen, daß es mir unwillkürlich warm ums Herz ward – und Hessenstein, der mit seiner Schwadron in Dortmund in Quartier lag und herübergeritten war. „Am liebsten hätte ich alle meine Kerls mitgenommen,“ sagte er. „Man schämt sich förmlich seines Säbelrasselns inmitten völliger Kirchenruhe.“
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/395&oldid=- (Version vom 31.7.2018)