Seite:De Memoiren einer Sozialistin - Lehrjahre (Braun).djvu/390

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

um ein Gelübde abzulegen, von dem mein Herz nichts wußte!

Auf der Treppe des Hotels ergriff mich ein Schwindel. Hessenstein sprang zu und stützte mich. In demselben Augenblick war Syburg neben mir. „Ihre Dame erwartet Sie,“ sagte er scharf und kühl zu meinem Begleiter, und gehorsam legte ich meine Hand in seinen dargebotenen Arm.

Und dann tanzten wir. War ich ein Automat, daß meine Füße sich im Takt bewegten, während meine Seele weit, weit fort war – oder war ich die kleine Seejungfrau, die ihre Menschwerdung bei jedem Schritt, den sie tat, mit schneidenden Schmerzen bezahlen mußte?! – Wie fest schlossen sich heute die Finger meines Tänzers um meine Hand – wie Teufelskrallen, die mich nicht mehr los lassen wollten –; und so sengend heiß wehte sein Atem mir in den Nacken! Ängstlich vermied ich es, ihn anzusehen, ich sah ihn niemals gern, wenn er tanzte, wie auf Draht gezogen bewegte er sich, – ach, und heute – heute tanzte spukhaft eine andere Gestalt neben mir –

Die Musik intonierte die letzte Tour. Ich mußte ihn ansehen, über die Schulter hinweg, fächerschlagend, mit einem koketten Lächeln. Und da traf mich sein Auge, und blieb auf dem tiefen Ausschnitt meines Kleides haften – mit schwüler, begehrlicher Lüsternheit –

Noch eine Verbeugung, und wiegenden Schrittes, sich an den Fingerspitzen haltend, verließen die Paare den Saal. Meine Kraft war zu Ende. Ich bat Syburg, meine Mutter zu rufen, da ich mich leidend fühlte und nach Haus fahren müßte. Ohne Rücksicht auf all die

Empfohlene Zitierweise:
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/390&oldid=- (Version vom 31.7.2018)