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auf und nieder ging, und verkroch mich zitternd unter die Decke, wenn die Mäuse, die unvertilgbar schienen, piepsend über die Diele raschelten. Von Kindheit an brach mir der Angstschweiß aus, sobald eins der zierlichen grauen Geschöpfchen in meine Nähe geriet.

Ich wurde immer schmaler und blasser, und müde – immer müder. Die weiche Frühlingsluft, die merkwürdig früh in diesem Jahr Blätter und Blüten hervorlockte, erschlaffte mich vollends.

Syburg schien meine krankhafte Mattigkeit für weibliche Sanftmut zu halten; das verstärkte in seinen Augen meine Anziehungskraft. Ich ließ es geschehen, daß er mich fast schon wie sein Eigentum behandelte. Hessenstein versuchte vergeblich, meine Widerstandskraft wach zu rufen. „Sie rennen sehenden Auges in Ihr Unglück,“ sagte er einmal, „niemals passen Feuer und Wasser zusammen.“ „Aber das Wasser löscht das Feuer aus,“ antwortete ich mit trübem Lächeln, „und gerade das ists, was ich brauche.“

Es war schon Ende März, als Prinz Sayn, der Kommandeur der Kürassiere und unermüdliche liebenswürdige Arrangeur aller Feste, zum Polterabend einer bevorstehenden Hochzeit eine Quadrille zu tanzen in Vorschlag brachte. Die Paare wurden bestimmt; Syburg war selbstverständlich mein Partner. Bei einer der vorbereitenden Zusammenkünfte wurde die Kostümfrage besprochen, und wir hatten uns beinahe schon geeinigt, der Aufführung den Charakter eines Schäferspiels zu geben, als meine Mutter das Hofkostüm der Rokokozeit für angemessener hielt. Der Prinz und seine Frau, die mittanzen wollten und an den jugendlichen Gewändern

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/387&oldid=- (Version vom 31.7.2018)