Militärkabinetts, der die Vorsehung seiner Vettern bis ins zwanzigste Glied gewesen ist – scheinen die Löwinnen des alten berliner Hofs den Schauplatz ihrer Tätigkeit hierher verlegt zu haben. Eine komische Gesellschaft: vornehm, blasiert, elegant, hochnäsig, mit einem starken Stich ins Burschikose, nicht ohne ‚Vergangenheit‘. Diese beiden letztgenannten Eigenschaften sind die Ursache ihrer nicht ganz freiwilligen Entfernung aus Berlin, wo man im Zeichen der Tugend und Gottesfurcht steht. Nun ist Münster aber auch nicht der Ort, wo Leutnants den jungen Damen kameradschaftlich auf die Schultern klopfen und mit frischem Stallgeruch und schmutzigen Stiefeln zum Damenfrühstück erscheinen können. Kurz – wir werden die fremden Vögel schon ausräuchern, und ich tue dazu, was ich an Koketterie, an Geist und Toiletten aufbringen kann. Mit dem glänzendsten Kavalier dieses Karnevals, Herrn von Hessenstein, der kürzlich hier Schwadronschef geworden ist, schloß ich ein Schutz- und Trutzbündnis zu diesem Zweck. Du brauchst keine Kassandrarufe auszustoßen – wir gefallen einander – nichts weiter!
Es gibt eine Anziehungskraft zwischen Mann und Weib, die mit Geist und Herz gar nichts zu tun hat; ich möchte sie körperlichen Magnetismus nennen. Man ist nicht gemein, wenn man sie empfindet, weil der Instinkt der Natur nicht gemein sein kann. Zum Unglück wird sie nur, weil das sentimentale Liebesgewinsel unserer Goldschnitt-Lyriker und unsere verlogene Erziehung uns dazu gebracht haben, sie vor uns selbst mit falschen Empfindungen zu umkleiden. Meine fiebernden Sinne werden oft von Menschen angezogen, von denen
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/383&oldid=- (Version vom 31.7.2018)