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ließ: „Weil das Leben mir zum Ekel wurde – weil ich mich selbst nicht länger ertragen kann. –“

„Ja um Himmels willen, was ist denn geschehen? Wieder so ’ne verdammte Liebesgeschichte?“ Papa schwollen vor Schreck die Adern auf der Stirn. Mama dagegen sah mich flüchtig forschend an und lächelte dann ihr feines malitiöses Lächeln.

„Das Gegenteil dürfte richtig sein, – ihr fehlt momentan die Liebesgeschichte,“ sagte sie, und sekundenlang fuhr es mir blitzartig durchs Gehirn, ob sie am Ende recht haben könnte. Dann aber antwortete ich rasch, um den Gedanken in mir selbst zu erlöschen:

„Arbeiten möcht ich, – irgend etwas leisten, das mich ganz und gar in Anspruch nimmt. Ich beneide den Steinklopfer an der Straße, der abends wenigstens arbeitgesättigt totmüde auf seinen Strohsack sinkt.“

„Du hast doch genug zu tun, wie ich bemerke,“ meinte Papa nach einem kleinen zögernden Nachdenken, „du liest, du malst, du schneiderst, du beschäftigst dich mit deiner Schwester, du bist der unersetzliche Arrangeur unserer Feste –“

Mama unterbrach ihn: „Das genügt natürlich Alix’ Ehrgeiz nicht. Häusliche Pflichten sind ein überwundner Standpunkt. Aber du hast ja Auswahl genug, wenn du ihrer überdrüssig wurdest,“ damit wandte sie sich an mich; ihr ganzes Gesicht war rot, und ihre schmalen Lippen bebten, „du kannst Gesellschafterin – Gouvernante – Hofdame werden. Sieh dann selber zu, wie das harte Brod der Fremde schmeckt!“

Mir stürzten die Tränen aus den Augen. Mir ahnte längst, daß mir kein Ausweg blieb, und doch erschütterte

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/375&oldid=- (Version vom 31.7.2018)