künftigen Heim: dem ehemaligen Kloster der Augustinerinnen, das fast vierhundert Jahre lang dem strengen Orden der büßenden Nonnen gehört hatte, ehe es der pietätlosen, säbelrasselnden Preußenpolitik zum Opfer fiel. Vor dem langgestreckten grauen Haus mit seinen dicken Mauern und kleinen Fenstern stand hinter ein paar mächtigen Linden halb versteckt die uralte dunkle Servatiikirche; die hohen Gartenmauern des Erbdrostenhofes – eines jener zahlreichen prunkvollen Stadtschlösser westfälischer Adelsgeschlechter – umschlossen hinter ihr den engen Platz. Nur zögernd betrat ich den breiten, fliesengedeckten Flur unseres Hauses; die laute erklärende Stimme des Intendanturbeamten, der uns führte, machte mir denselben schmerzhaften Eindruck wie die Stimmen all jener Kirchen-, Gallerie- und Schloßdiener, die eigens dazu berufen zu sein scheinen, den Besucher vor der Tiefe irgend eines Eindrucks zu bewahren. Ich ließ ihn vorangehen und blieb allein. Es war ein heller Herbsttag draußen, die Sonne überflutete das große Treppenhaus, aber in die Zimmer hinein drang sie nicht; hier wehte jene schwere kühle Luft der Grüfte, die nie ein Sonnenstrahl berührt. Alle Wohnräume lagen nach Norden, – kein warmer Gruß lockenden Lebens durfte die Nonnen berühren, deren Zellen hier gewesen waren. Eine davon mochte wohl den frömmsten zur Wohnung gedient haben: auf einen winzigen Hof sah sie hinaus; gerade gegenüber, zum Greifen nah, fiel der Blick auf das hohe gotische Fenster der Klosterkapelle, aus dessen zerbrochenem Glasgemälde die schmerzverzerrten Züge eines heiligen Märtyrers noch zu erkennen waren. „Hier ist der Zugang zur Kapelle vermauert,“ hatte ich von
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/356&oldid=- (Version vom 31.7.2018)