„Bravo!“ sagte Graf Lehnsburg. „Großspuriges Geschwätz!“ brummte der Onkel.
Am frühen Morgen des nächsten Tages kam ein Telegramm: „Division in Münster.“ Mit beiden Füßen zugleich sprang ich aus dem Bett. Westfalen: Das nordische Rom – die Wiedertäufer – Annette Droste – der Westfälische Friede – die Hermannsschlacht, – es war eine verwirrende Vielheit bunter Bilder, die bei diesem Namen vor mir aufstiegen. Ich fuhr noch am Nachmittag nach Bromberg. Merkwürdig ernst empfing mich mein Vater. Kaum daß ich eine Frage an ihn zu richten wagte. Und auch zu Hause blieb er still, während mein Schwesterchen voll Freude über den Wechsel im Zimmer umhersprang und Mama die nächsten Pläne erwog. Erst spät am Abend, als er seine gewohnte Patience gelegt hatte und sich befriedigt, weil sie mit Mamas Hilfe richtig aufgegangen war, in den Stuhl zurücklehnte, fing er an, sich über die Zukunft auszusprechen. Wir orientierten uns mit Hilfe der Rangliste über die Verhältnisse seiner Division; bis nach Aachen und Paderborn dehnte sie sich aus; lauter Städte voll historischer Bedeutung gehörten zu ihren Garnisonen. In Münster erwartete uns eine geräumige Dienstwohnung, eine glänzende Geselligkeit; der Kommandierende war meinem Vater als liebenswürdiger Vorgesetzter bekannt.
„Und trotzdem –?“ Ich stockte vor dem finsteren Blick, der mich traf. Gleich darauf lächelte er ein wenig gezwungen und strich sich halb nachdenklich, halb verlegen den Bart. „Ihr merkt eben nichts, gar nichts,“ sagte er, „mit der Nase muß man euch darauf stoßen;“ damit wies er mit dem Finger in die Rangliste: „Die
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/352&oldid=- (Version vom 31.7.2018)