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Mein Vater, der im Kriegsfall zum Kommandanten der wichtigsten, weil der feindlichen Grenze am nächsten liegenden Festung Thorn bestimmt war, bereitete seine Equipierung bis in alle Einzelheiten vor, wir verpackten Silber und Schmuck, stellten die Koffer bereit; denn möglicherweise galt es, binnen wenigen Stunden die Stadt zu verlassen.

Da der Kriegslärm auch an der Westgrenze des Reichs immer lauter wurde, konnte darüber kein Zweifel sein: kam es zur Explosion dieses massenhaft angesammelten Zündstoffs, so war es ein Weltkrieg, an dessen Schwelle wir standen.

Bismarcks fulminante Rede, sein Appell an die Deutschen, die Gott fürchteten und sonst nichts in der Welt, – die Ablehnung des Septennats und die Auflösung des Reichstags steigerten die fieberhafte Erregung, in der wir alle lebten. Zum erstenmal verfolgte ich mit brennendem Interesse die Wahlkämpfe und begrüßte freudig den Sieg der Vaterlandsfreunde über die Sozialdemokraten, die uns wehrlos den Feinden hatten überliefern wollen.

Als aber dann der Kriegslärm so merkwürdig plötzlich verstummte und all das glühende Feuer patriotischer Begeisterung nur da zu sein schien, um die Gerichte gar zu kochen, die Bismarck dem Reichstag vorsetzte, war ich rasch ernüchtert.

„Droben auf der kurischen Nehrung gibt es unheimliche Berge von Sand. Sie wandern. Und immer wieder pflanzen die Menschen junge Bäumchen in den Boden, und so oft auch der gelbe Mörder über Nacht wieder kommt und das grünende Leben verschlingt, – sie

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/330&oldid=- (Version vom 31.7.2018)