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Laßt uns, so lang die Sommerblumen sprießen
 Genießen!“

Auf der Strandpromenade hinter uns sammelte sich das Publikum. Von einer flackernden Laterne matt erhellt, sah ich Göhrens Gesicht mitten darunter, und ihm zum Trotz stimmte ich als einzige unter den jungen Mädchen, deren Wangen sich vor Verlegenheit mehr und mehr röteten, in den Refrain ein.

„Es braust das Meer, das Schiff schwankt auf und nieder,
Helljubelnd grüßen wir den Wellenschaum,
Der Sturm singt uns das schönste aller Lieder
Und wiegt uns ein zu wild-bewegtem Traum –
Was ist das Ende, wenn die Wellen branden? –
 Stranden!“

Mit einem Akkord fanatischer Lebensfreude, der mir in seiner grellen Dissonanz zu den Worten schmerzhaft ins Herz schnitt, schloß der Sänger. Man drängte sich um uns, die Gläser klirrten aneinander, ich hob das meine noch einmal hoch empor wie zum Gruß an den mißgünstigen Zuschauer, der unter der Menge verschwand.

„Du hast dir wiedermal eine der besten Partien verscherzt,“ sagte Onkel Walter am Morgen ärgerlich zu mir; „Graf Göhren ist abgereist.“ Ich zuckte gleichgültig die Achseln. „Du solltest zufrieden sein, wenn überhaupt noch irgendwer ernsthafte Absichten hat, nach dem Skandal mit –.“

„Ich bitte dich, dies Thema ein für allemal unberührt zu lassen,“ unterbrach ich ihn heftig, „im übrigen erkläre ich dir: lieber gehe ich betteln, als daß ich mich verkaufe.“

Onkel Walter wurde dunkelrot. „Mäßige dich, ja?“

Empfohlene Zitierweise:
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/324&oldid=- (Version vom 31.7.2018)