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und spielten Pfänderspiele – mischte sich ein neuer Gefährte in unseren Kreis: Graf Göhren. Er erschien mir sofort als des lustigen Chenille-Grafen direktes Widerspiel, gemessen in den Bewegungen, etwas ungeschickt sogar, ernsthaft, ein wenig verlegen. Wie ein guter, treuer Pinscher sah er aus, mit runden erstaunten Augen. Mich genierte seine Anwesenheit, ich wußte nicht recht, warum. Es fügte sich in den folgenden Tagen, daß wir uns näher kennen lernten, und als wir einmal auf einem Spaziergang in den Dünen vor einem Gewitter die Flucht ergriffen und, von der übrigen Gesellschaft getrennt, in einem verlassenen Pavillon Schutz suchten, legte er mit ungewöhnlich sorglicher Gebärde seinen Mantel um meine Schultern. Ich wurde bis ins Innerste warm dabei, – es tat so wohl, sich unter gutem Schutz zu wissen! Abends am Strande war ich nicht recht bei der Sache und horchte erst auf, als der Chenille-Graf mit einer Gitarre unter dem Arm auf mich zu trat. „Nun hab ich für Ihr Lied die Melodie gefunden, Gnädigste,“ sagte er, „wenn wir das anstimmen, kriegen die Kranzer eine Gänsehaut vor Entsetzen.“ Mein Lied?! Ach so! – vor ein paar Tagen hatte er mein Notizbuch gefunden, und keck, wie er war, zum Lohn ein Gedicht begehrt, daß er darin entdeckt hatte. „Darf ich es sehen?“ frug Graf Göhren. Seine Stirn runzelte sich, als er es las. „Sie werden es nicht singen lassen“ – sagte er darnach mit scharfer Betonung zu mir gewandt. „Erlauben Sie, lieber Graf,“ warf der andere lächelnd ein: „Fräulein von Kleve hat sich des Rechts darüber schon begeben.“ – „Es bleibt trotzdem ihr Eigentum, und ich versichere Sie, daß es

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/322&oldid=- (Version vom 31.7.2018)