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so lange ich jung bin und man mir huldigt, und betäube die warnenden Stimmen im Innern. Ich reite, ich rauche, ich bin kokett, ich mache extravagante Toiletten und erlaube mir Dinge, die man zu verdammen pflegt, – aber ich würde mir auch nichts daraus machen, wenn ein Sturz vom Pferde, ein Umschlagen des Kahns dem dummen Spaß ein Ende machen würde.“

Mit einer gewissen kalten Neugier beobachtete ich meine steigende Anziehungskraft auf die Männer. Ihre Huldigungen wurden mir mehr und mehr zum Bedürfnis; von ihrer Glut sprangen warme Wellen zu mir hinüber, die mir zuweilen die Wohltat eigenen Feuers vortäuschten.

An meinem Geburtstagsabend, nach einem durchtanzten und durchspielten Tag, an dem ich mir aus lauter Angst, an die Vergangenheit denken zu müssen, keinen Augenblick Ruhe gegönnt hatte, schrieb ich an Mathilde, die sich gerade im Harz befand und mich dringend in die „Stille der Bergwelt“ eingeladen hatte: „Die Stille mag gut sein für den, der sich gern erinnert, unsereins braucht die ewig knarrende Tretmühle des Amüsements. Aber grüß mir immerhin den Harz; seine Berge sind freilich Kinderspielzeug, seine Felsen eines nichtsnutzigen Engels schlechte Kopien von Gottvaters Wunderwerken, aber er hat einen Vorzug: die nahe Beziehung zur Hölle, nach der ich ein unbändiges Verlangen trage. Wenn der Teufel auf dem Brocken seinen Repräsentationsball gibt, sag ihm, er soll mich nicht vergessen. Er wird dir dankbar sein für deine Kupplerdienste, – ich bin momentan geradezu eine Delikatesse für ihn.“

Wir siedelten bald darauf nach Kranz über, wo mein

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/320&oldid=- (Version vom 31.7.2018)