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taktmäßig aufschlug. So kam er jetzt jeden Abend, vom Fenster aus ein verabredetes Zeichen erwartend, in den dicht an unserem Hause liegenden Park. Er fuhr zurück, als er mich vor sich sah. Es bedurfte nicht vieler Worte zwischen uns. Aber was ich gleichgültig, mit einer ganz fremden ruhigen Stimme erzählte, das erschütterte ihn so, daß er sich schwer auf meine Schulter lehnen mußte. „Ich kann dich nicht lassen, Alix!“ stöhnte er immer wieder. „Das sollst du auch nicht, Hellmut!“ antwortete ich fest. „Da uns zum Ehebund der Goldsegen fehlt, schließen wir ihn unter dem Segen der Liebe.“ Mit weit geöffneten Augen sah er mich an. „Du wolltest –?“ klang es fragend, zögernd. „Deine Geliebte werden – ja. Selbstverständlich muß ich Schwerin sofort verlassen – – –“

„Alix, du fieberst – du weißt ja gar nicht, was du sagst, – das ist ja heller Wahnsinn!“ rief er. Ich fühlte plötzlich, wie die feuchte Kälte der Nacht von den Fußsohlen an langsam an mir emporkroch. „Ich bin nicht wahnsinnig, Liebster –“ sagte ich weich und drückte seine Hand zärtlich an meine Wange, „ganz im Gegenteil: ich will die wahnsinnige Weltordnung für mein Teil vernünftig machen! – Nun laß uns nicht länger hier stehen, Hellmut, wo jede Minute kostbar ist. Irgend eine kleine Station wird sich mit deinem Wagen doch noch erreichen lassen, wo ich den ersten Morgenzug erwarten kann –.“ Er trat einen Schritt zurück, – „Mach mich doch nicht zum Schurken – Alix“ – er packte mich am Arm und schüttelte mich, als wolle er mich aus einem Traum erwecken. Und wirklich – während der Regen mir ins Antlitz peitschte – und

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/305&oldid=- (Version vom 31.7.2018)