Millionen winziger Wasserperlen besetzte, so empfanden wir keinen Zweifel mehr an der wieder erwachten Sonne unseres Glücks.
Die anderen kamen durchfroren von der stundenlangen Fahrt ins Hotel, uns, die wir ihnen weit voran gewesen waren und doch als letzte zurückkehrten, war glühheiß. Noch lange saßen wir zusammen; die vielen Gänge des Mahls, bei dem die meisten Paare immer einsilbiger wurden, das langsame Servieren, das jeden Nichtmecklenburger immer ungeduldiger machte, – wir merkten es nicht. Für uns wars viel zu früh, als es galt, Abschied zu nehmen. Vor dem halbdunkeln Torweg, im rieselnden Regen, umschloß eine kräftige Hand noch einmal die meine, und spitze Nägel gruben sich mir ins Fleisch.
Noch in der Nacht schrieb ich an Tante Klotilde. Mein ganzes Herz schüttete ich ihr aus; mit all meiner Hoffnung klammerte ich mich an sie; jede Seite ihres Wesens suchte ich zu rühren.
Wenige Tage später wurde ich zu ungewohnter Stunde zu meinem Vater gerufen. Hochrot im Gesicht, mit meinem Brief in der Hand, trat er mir entgegen. Mama saß vor Schrecken totenblaß im Lehnstuhl. Es gab eine unbeschreibliche Szene. Demselben Manne, der mir seine Zärtlichkeit nie genug zeigen konnte, war jetzt kein Wort zu verletzend, um mich zu beschimpfen. Ich stand vor ihm, wie versteinert. Erst als er Hellmut einen Ehrlosen nannte und die wahnsinnigsten Drohungen gegen ihn ausstieß, kam ich zu mir. „Das duld’ ich nicht, daß du seine Ehre angreifst,“ rief ich und trat ihm dicht unter die Augen, „schlag doch mit Fäusten
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/302&oldid=- (Version vom 31.7.2018)