Rascheln und Raunen und das ferne Schlagen einer Tür, dann wars still.
„Morgen noch fahr ich selbst zu Tante Brigitte und, wenns nicht anders ist, zu Georg. Ich muß ein Ende machen – so oder so!“ flüsterte er mir zu, ehe wir den Ballsaal wieder betraten. Ich suchte meine Eltern; – wir verabschiedeten uns. Am Ausgang, wo sich die meisten Menschen zusammendrängten, trat Hellmut an meinen Vater heran: „Darf ich mich gleich heute für die nächsten Wochen verabschieden, Herr General,“ – sagte er sehr laut und förmlich – „mein Vetter, Herzog Georg, wünscht meine Anwesenheit bei den Hofbällen.“ – „Reisen Sie glücklich,“ antwortete mein Vater, und mir schien, als ob er erleichtert dabei aufatmete. „Amüsieren Sie sich gut“ – brachte ich mühsam hervor und legte meine kalten Finger flüchtig in die seinen.
Nur die fieberhafte Erregung gab mir Kraft, mich in den nächsten Wochen aufrecht zu halten. Ich fehlte in keiner Gesellschaft, auf keinem Ball; keine tanzte so unermüdlich wie ich, an keinem andern Tisch wurde so viel Sekt getrunken wie an dem meinen.
Eines Tages traf ich Graf Waldburg im Theater. Er machte in den Pausen mit großem Eifer Propaganda für eine Schlittenpartie, die mit einem Diner im Hotel enden sollte. „Seine Durchlaucht Prinz Hellmut bittet Sie um die Ehre, Sie fahren zu dürfen,“ wandte er sich an mich. Als ich fragend zu ihm aufsah, zuckte er die Achseln und sagte, nur für mich hörbar: „Durchlaucht haben mir nichts weiter mitgeteilt, als daß ich rasch für eine Gelegenheit zu längerer Aussprache sorgen möchte.“
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/300&oldid=- (Version vom 31.7.2018)