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dem Wie und Warum unseres Hierseins frugen wir einander, und ich erfuhr, daß ihn auf dem Wege nach Oberitalien in München plötzlich die Lust gepackt habe, die Berge von Garmisch wieder zu sehen. „Unserem Verwalter in Partenkirchen kam ich nicht gerade gelegen,“ lachte er, „der hatte Gesellschaft in Mamas Salon, als ich eintrat. Ich habe ihm unter der Bedingung gnädig verziehen, daß er über meine Anwesenheit gegen jeden den Mund halten soll.“

„Dann sind wir beide inkognito,“ rief ich fröhlich, „die Tante findet nämlich im Grunde mein Alleinsein so kompromittierend, daß ich versprechen mußte, mich in Garmisch nicht sehen zu lassen.“

Bis gegen Mittag blieb er. Der guten Kathrin warnende Blicke, die ich zuweilen auffing, nahmen mir den Mut, ihn zu Tisch einzuladen. Am nächsten Morgen aber, vor seiner Weiterreise, versprach er, mir eine „feierliche Abschiedsvisite“ zu machen.

„Wenn das die Frau Baronin wüßte!“ sagte die Kathrin seufzend, als er weg war.

Es regnete in Strömen, als ich am folgenden Tage erwachte „Nun kommt er sicher nicht,“ war mein erster Gedanke, und mißmutig zog ich die Decke wieder über die Schultern. Aber eine leise Hoffnung tauchte gleich darnach auf und zwang mich, statt des alltäglichen Lodenrocks ein hübsches, helles Hauskleid aus dem Schrank zu holen. Kaum saß ich am summenden Teekessel, als ich draußen sein fröhliches „Grüß Gott, Fräulein Kathrin“ hörte. „Naß bin ich wie ’ne Katze, aber pudelwohl, – Sie sehen, die Viecher vertragen sich auch im Menschen,“ fügte er hinzu, und selbst die wohlerzogene

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/271&oldid=- (Version vom 31.7.2018)