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Mir klopfte das Herz vor Freude: Ich sollte für die Bühne dichten! Sollte von einem großen Publikum gehört werden! Trotzdem kamen mir Bedenken:

„Ich kenne den Großherzog nicht. Und ihn anhimmeln, bloß weil er der Großherzog ist, – das widerstrebt mir.“

„Niemand verlangt das von Ihnen. Das rein Menschliche, daß er krank, fern seinem Lande im Süden ist, daß seine Abwesenheit schwer auf Handel und Wandel, Leben und Geselligkeit drückt, daß wir ihm und uns seine Genesung wünschen, gibt, scheint mir, Anregung genug zu dichterischer Gestaltung!“ Mir leuchtete ein, was er sagte; die Gelegenheit, zum erstenmal öffentlich hervorzutreten, war auch viel zu verlockend, als daß mein Widerstand sich hätte aufrecht erhalten lassen.

Ich schrieb in schwungvollen Versen irgend etwas, das von den Seen und Wäldern Mecklenburgs, von den guten heimischen Göttern und dem trügerischen Zauber des Südens mehr enthielt als von dem Landesfürsten, den es feiern sollte. Da man ihn seiner, wie man glaubte, unnötig langen Abwesenheit wegen nicht allzu hoch schätzte, so entsprach meine Dichtung den Intentionen der Auftraggeber. Bei Landsbergs, in kleinem Kreise, las ich sie vor und erntete von den anwesenden Schauspielern einen geräuschvollen Beifall, der um so größeren Eindruck auf mich machte, als ich noch nicht wußte, daß es bei ihnen ebenso üblich ist, den Gefühlen übertrieben lauten Ausdruck zu geben, wie es bei uns guter Ton ist, sie bis auf ein Mindestmaß zu unterdrücken.

Hier, – das schien der eine Augenblick mir zu enthüllen –, fand ich die Menschen, die mich verstanden,

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/262&oldid=- (Version vom 31.7.2018)