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„Sie müssen sich darein finden, Kleine,“ sagte er „das Kokettieren ist nun mal eine böse Sache und straft sich immer.“

„Kokettieren?! Ich habe gar nicht kokettiert!“ rief ich in dem Bedürfnis, einmal auszusprechen, wie ich empfand, „ich hab’ ihn gern gehabt, sehr gern sogar, aber doch lange, lange nicht so, um seine Frau zu werden.“

„Ein junges Mädchen darf es nicht so weit kommen lassen –“

„Wenn sie nicht heiraten will!“ unterbrach ich den braven Mann lachend, dessen spitze Schnurrbartenden zu zittern begannen. „O ich kenne die Weise, und weiß daher, daß die ganze Musik falsch ist, grundfalsch! Warum soll denn ein Mädchen sich gleich mit Leib und Seele verschreiben, wenn sie Einen freundlicher anlächelt als den andern? Warum soll der ein Recht haben auf ihre Hand, dem sie an einem schönen Julitag einmal von Herzen gut war? Verlangen Sie etwa dasselbe von Ihren Leutnants, die manch armes Ding durch ganz andere Liebesbeweise an die Echtheit ihrer Gefühle glauben lassen?!“

„Aber – mein gnädigstes Fräulein –“ unterbrach der Major mit einer verzweifelnden Gebärde meinen Redefluß und richtete sich steif und gerade auf, so daß sein Kahlkopf mir bis an die Nasenspitze reichte. Seine kleinen wasserhellen Augen drückten dabei ein so komisches Entsetzen aus, daß meine Empörung verflog und ich das Lachen nicht unterdrücken konnte. „Beruhigen Sie sich nur, Papa Schrott“ – damit streckte ich ihm begütigend die Hand entgegen – „wenn ich mal so alt

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/206&oldid=- (Version vom 31.7.2018)