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„Du bist ja eine nette Pflanze!“ rief er, kaum daß er eingetreten war „hinter dem Rücken deiner Eltern bändelst du mit meinen Leutnants an und setzt ihnen Flausen in den Kopf. Hast du denn gar keine Ehre im Leibe?!“ Verständnislos starrte ich ihn an. „Tu doch nicht so naiv,“ schrie er wütend. „Du weißt ganz gut, was los ist, und meinst wohl, ich würde meine Tochter jedem hergelaufenen Ladenschwengel in die Arme werfen!“ Ich erschrak – war das möglich: der Fredy hatte um mich angehalten! „Aber ich will ja gar nicht!“ stotterte ich. Ein halbes Lächeln huschte über das rote Gesicht meines Vaters: „Ja, zum Donnerwetter, was bildet sich denn dann der Kerl ein –, er versichert hoch und teuer, deiner Zustimmung gewiß zu sein!“

Es half nichts – nun mußt’ ich beichten. Und als ich so im grauen Tageslicht den süßen, heißen Traum der Nacht mit kalten Worten wie mit Messern zerschneiden mußte, faßte mich ein tiefer Groll gegen den Mann, dessen rasches Vorgehen mich dazu zwang. Ein Kuß in der Julinacht, – und früh tritt er an mit Helm und Schärpe und begehrt mich zum Weibe für ein ganzes langes Leben!

„Man küßt doch nicht, wenn man nicht heiraten will!“ sagte meine Mutter kopfschüttelnd, als der Sturm des väterlichen Zorns sich etwas gelegt hatte.

„Heiraten – so einen fremden Mann!“ kam es darauf zögernd über meine Lippen. Die Wirkung meiner Worte war verblüffend: mein Vater lachte – lachte, bis ihm die dicken Tränen über die Backen liefen. Und abends schenkte er mir einen goldgelben

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/204&oldid=- (Version vom 31.7.2018)