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während das rote Licht der Ampel über mir strahlte, mußte sie bei mir sitzen. Dann erzählte ich von meiner Liebe, meiner Sehnsucht. Was ich im Traum erlebte, gestaltete sich vor ihr wie Wirklichkeit. Sie glaubte mir alles, sie weinte und seufzte mit mir; und je mehr sie es tat, desto mehr verwischte sich vor mir selbst Phantasie und Leben, desto mehr verirrte ich mich in den Irrgängen meiner Einbildungen.

Um jene Zeit war es, daß meine Mutter eine neue Kammerjungfer engagierte, die, im Gegensatz zu der entlassenen, auch mich anzuziehen und zu frisieren hatte. Sie war ein hübsches, blondes Ding mit einem unschuldigen Madonnengesichtchen, Tochter einer ehrbaren Beamtenwitwe, die durch Zimmervermieten ihre große Familie erhielt und ihre Kinder in strenger Zucht und Frömmigkeit erzog, weshalb sie meiner Mutter ganz besonders empfohlen worden war. Anna – so hieß unsre neue Hausgenossin – fand besonderes Gefallen an mir und wiederholte mir täglich, wie hübsch ich sei, wobei sie es nicht unterließ, jeden einzelnen meiner Vorzüge zu preisen und mir alle Mittel anzugeben, um sie ins rechte Licht zu setzen. Ich war eitel, aber es war mir von selbst nie eingefallen, auf gut sitzende Korsetts, enge Schuhe und feine Strümpfe irgend ein Gewicht zu legen. Jetzt wurde ich Annas gelehrige Schülerin, und freudeheiß stieg mir das Blut ins Gesicht, wenn sie nicht müde wurde, mir zu versichern, daß der und jener mich bewundernd ansähe, daß ich die Herzen einmal im Sturm erobern werde. Allmählich nahm sie die Gewohnheit an, bei mir zu bleiben, wenn ich nicht schlafen konnte und die

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/120&oldid=- (Version vom 31.7.2018)