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„Dürer?“ „Bach?“ – In den zahlreichen historischen Aufsätzen schwelgte ich förmlich im „Tyrannenhaß“. In einer Arbeit von nicht weniger als vierundsechzig Seiten, die die politischen Umwälzungen in Europa vom Dreißigjährigen Krieg bis zur französischen Revolution zum Gegenstand hatte, suchte ich nachzuweisen, „wohin ungerechte Regierung, Volksbedrückung, Verachtung alles Göttlichen führt... Schlechte, nur auf ihr Vergnügen bedachte Fürsten, eine verdorbene Aristokratie, ein armes, durch übertriebene Aufklärungsschriften irregeleitetes Volk standen sich gegenüber. Alles bereitete eine Zeit vor, die schrecklich, aber notwendig war.“ Unter den Fürsten der Neuzeit beehrte ich Friedrich Wilhelm III. mit meinem ganz besondern Zorn, den „die Taten seiner Untertanen berühmt gemacht haben, und der sich dadurch bei ihnen bedankte, daß er sein Versprechen brach ...“ Stein feierte ich als den „Retter des Vaterlandes, der in Frieden erreichen wollte, was der Zweck der französischen Revolution gewesen war.“

Häufig pflegte mein Vater meine Aufsätze einer Kritik zu unterwerfen, die fast immer dem Stil, sehr selten nur der Gesinnung galt. Nach rückwärts radikal zu sein, wie sein Töchterchen, sich für vergangene Völkerfreiheitskämpfe zu begeistern, sich über die Schandtaten der Fürsten, die lange schon moderten, zu entrüsten, widersprach im allgemeinen nicht den Ansichten der Offizierskreise, in denen wir lebten. Sie befanden sich damals, besonders in der Provinz, in einem scharfen Gegensatz zu den Ideen und Gewohnheiten, die an unsern Fürstenhöfen herrschten. Der Luxus galt als verächtlich, die Ehrbarkeit eines einfachen Familienlebens

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/112&oldid=- (Version vom 31.7.2018)