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fristen ihr und ihrer Familie Leben mit wenigen Groschen am Tag, und du wirfst Tausende zum Fenster hinaus, noch dazu Tausende, die dir gar nicht gehören! Oder ist es etwas andres als Diebstahl, wenn du deine Lieferanten, deine Handwerker und ihr Geld dem schlimmsten aller Teufel, dem Spielteufel, in den Rachen wirfst?! Wenn du noch eine Spur von Ehrgefühl hast, so wirst du dir selber helfen und nicht verlangen, daß deine Schwester und dein Bruder sich dir opfern. Setz dich auf dein Gut und arbeite!“

Niemals hatte ich Großmama so reden hören, auch Onkel Walter mochte erstaunt sein, denn er schwieg lange Zeit. Dann brachs von neuem los, nicht heftig, wie vorher, sondern jammernd, verzweifelnd. Und nun tröstete ihn Großmama, wie ein krankes Kind, ohne in der Sache nachzugeben. Sie wollte zu ihm ziehen, ihm ein neues Leben aufbauen helfen, in der Wirtschaft nach dem Rechten sehen, bis er eine gute Frau gefunden haben würde …

„Ich habe eine Geliebte,“ stieß er hervor.

„Auch das noch!“ murmelte sie. „Kannst du sie heiraten?“ fügte sie rasch hinzu.

„Damit wir beide am Hungertuch nagen?“ höhnte er.

Auf Großmamas Bitten berichtete er von seinem Verhältnis zu dem Mädchen. Ich glaube, sie war anständiger armer Leute Kind; Onkel Walter hatte sie fürs Theater ausbilden lassen und an irgendeiner Bühne untergebracht: „Talent hat sie keins, aber sie ist hübsch, damit wird sie sich schon weiter helfen! Für das Kind aber, dessen Vaterschaft mir einigermaßen sicher ist, muß gesorgt werden!“

Empfohlene Zitierweise:
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/073&oldid=- (Version vom 31.7.2018)