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Träume. Er war nicht von Adel, also namenlos wie Elsas Ritter: gewiß würde er sich einmal als eines Königs verschollener Sohn entpuppen, und mir fiele die Aufgabe zu, ihm Reich und Krone zu erobern! Die schönsten Blumen aus meinem Garten legte ich heimlich auf seine Mütze im Flur, ehe er ging, und der ganze Tag war mir verklärt, wenn er morgens vorüberritt und mich grüßte.

Rohe Menschen mögen lachen über solche Kinderliebe und moralische sich darüber entrüsten. Mir ist, als wäre sie die reinste meines Lebens gewesen.

Im Frühling 1874 wurde mein Vater nach Berlin versetzt. Zum letztenmal versammelten sich des Hauses Freunde um unsern Teetisch. Noch weiß ich, wie mirs vor den Augen dunkelte, als ich meinem Helden die Hand zum Abschied reichte. Heiß lag sie in der seinen. Dann strich er mir noch einmal über den Kopf. „Wenn wir uns wiedersehn, bist du ein großes Mädchen,“ sagte er, „wer weiß, wir tanzen vielleicht noch einmal miteinander!“ Wortlos lief ich hinaus in mein Zimmer und biß verzweifelt in mein Kopfkissen, um mein Schluchzen zu ersticken.

Kinderschmerz ist so gut echter Schmerz wie der der Erwachsenen, – nur daß wir ihn so leicht vergessen.

Am nächsten Morgen schrieb ich meine ersten Verse in ein altes Schreibheft:

Maiglöckchen zart und rein,
Läut’st schon den Frühling ein?
Nein, nein, er kommt noch nicht,
Du gehst zu früh ans Licht.

Empfohlene Zitierweise:
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/047&oldid=- (Version vom 31.7.2018)