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zu, der ihn schließlich sanft in seine Arme nahm.

Ein Maiensonntag war es abermals, als der Gutsherr mit all dem Pomp, der die Sprossen eines der ältesten Geschlechter des Landes von jeher zu Grabe leitete, in die Gruft seiner Vorfahren gesenkt wurde. Vollzählig war wieder die Familie versammelt, vollzählig war auch das Offizierkorps des Königsberger Kürassierregiments zugegen, dem Walter, der älteste Sohn des Verstorbenen, angehörte, und seine Trompeter bliesen die Trauerchoräle. In langem Zuge folgten die Knechte und die Instleute dem Sarge, den der greise Förster, des Toten Lebensgefährte, mit seinen Jägern trug. Ehrliche Trauer blickte aus den Zügen aller der wettergebräunten Männer der Arbeit. Werner Golzow war ihnen ein guter Herr gewesen. Sie hatten nie seine Faust und nie seine Peitsche gespürt, wie ihre Kollegen ringsum auf den Nachbargütern, und sie fürchteten sich vor dem Junker, seinem Erben. Sein junges hübsches Gesicht war hart und hochmütig, auf die unbeholfenen, teilnehmenden Worte der Diener seines Vaters antwortete er nur mit einem leichten Neigen des Kopfes, die Hand, die sie, der alten preußischen Sitte gemäß, küssen wollten, zog er ungeduldig zurück. Als die Gutsleute nach der Beisetzung in der großen Halle des Herrenhauses von der Großmutter empfangen wurden, spürten sie doppelt ihre Güte, die nichts Herablassendes hatte, die den Untergebenen niemals den Abstand zwischen Herrn und Diener fühlen ließ. Und einer nach dem andern richtete die angstvolle Frage an sie: Unsre Frau Baronin wird uns doch nicht verlassen? Sie

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/018&oldid=- (Version vom 31.7.2018)