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seine geistige und moralische Leistungskraft stellte. Sein Liebesbedürfnis fand wenig Verständnis bei ihr, die unter dem dauernden Druck quälender Sorgen die Zärtlichkeit glücklicher Mütter eingebüßt hatte. Eine Schwester, die ihm im Alter am nächsten stand, und der er sein ganzes Herz zuwandte, wurde ihm früh durch väterliche Verwandte, die sich plötzlich der armen Witwe und ihrer Kinder erinnert hatten, entrissen; so blieb er ganz auf sich allein angewiesen und konzentrierte all seine Energie auf das eine Ziel: sich selbst das Leben zu erobern.

Mit sechzehn Jahren machte er das Abiturientenexamen und trat in ein Königsberger Infanterieregiment ein. Kavallerist zu werden, was er sich gewünscht hatte – denn die Reiterleidenschaft saß ihm tief im Blute –, erlaubten seine Mittel ihm nicht, und die Schwester, die von ihrem reichen Onkel wie ein eignes Kind gehalten wurde, hatte dem Bruder, – um ihre persönliche Stellung besorgt, – rundweg abgeschlagen, eine Zulage für ihn zu erbitten. Von selbst reichte des Onkels Generosität über das Geburtstags- und Weihnachtsgoldstück und gelegentliche Urlaubsreisen nach dem Familiengut in Oberfranken nicht hinaus, und so bestand des jungen Mannes Dasein in unaufhörlichen Verzichtleistungen. Er lebte nur seinem Beruf; sein Empfindungsleben schien durch die Arbeit völlig erstickt zu sein.

Um diese Zeit lernte er Ilse Golzow kennen, und alles, was an Liebessehnsucht in seiner Seele gelebt hatte von klein auf, brach ungestüm hervor. Das Weib war ihm unbekannt geblieben bis dahin; die Arbeit

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/010&oldid=- (Version vom 31.7.2018)