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Die Erklärung fand allgemeine Zustimmung, das war ja so natürlich, daß jedes meinte, es sei ihm selber so in den Sinn gekommen; so ward auch die Sache gleich völlig vergessen und lustig drauf los geschlittet. Endlich aber mußte auch dies Vergnügen ein Ende nehmen, denn es hatte längst acht Uhr geschlagen, die Zeit, da aufgebrochen werden sollte. Im Heimweg schärfte der Otto dem Miezchen ein, zu Hause nichts zu erzählen von dem Vorfall, sonst könnte die Mutter Angst bekommen, und dann dürften sie gar nie mehr im Mondschein schlitten gehen: den Zuckerhahn müsse es gleich haben, aber noch daraufhin versprechen, nichts zu erzählen. Miezchen versprach hoch und teuer, kein Wort sagen zu wollen; die Spuren seiner Tränen waren auch längst vergangen und konnten nichts mehr verraten.

Längst schon schliefen Otto und Miezchen auf ihren Kissen, und der rote Zuckerhahn spazierte durch Miezchens Träume und erfüllte sein Herz mit einer so großen Freude, daß es jauchzte im Schlaf. Da klopfte es unten an die Haustür mit solcher Gewalt, daß der Oberst und seine Frau vom Tisch auffuhren, an dem sie eben in Gemütlichkeit gesessen und sich über ihre Kinder unterhalten hatten, und die alte Trine in strafendem Tone oben zum Fenster hinausrief: „Was ist das für eine Manier!“

„Es ist ein großes Unglück begegnet“, tönte es von unten herauf; „der Herr Oberst soll doch herunterkommen, sie haben den Schreiner Andres tot gefunden.“

Damit lief der Bote wieder davon. Der Oberst und seine Frau hatten genug gehört, denn auch die hatten sich dem offenen Fenster genähert. Augenblicklich warf der Oberst seinen Mantel um und eilte dem Hause des Schreiners

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_199.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)