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„Nein“, schluchzte Miezchen, neuerdings überwältigt; „aber er wollte, mit einem Stecken, – so hat er ihn aufgestreckt und hat gesagt: 'Wart du!' Und ganz furchtbare Worte hat er mir nachgerufen.“

„So hat er dir eigentlich gar nichts getan“, sagte Otto und atmete beruhigt auf.

„Aber er hat ja – er hat ja – und ihr wart alle schon weit fort, und ich war ganz allein“, – und vor Mitleid für seinen Zustand und nachwirkendem Schrecken brach Miezchen noch einmal in lautes Weinen aus.

„Bscht! Bscht!“ beschwichtigte Otto; „sei doch still jetzt, ich gehe nun nicht mehr von dir weg, und der Mann kommt nicht mehr, und wenn du nun gleich ganz still sein willst, so geb' ich dir den roten Zuckerhahn vom Christbaum, weißt du?“

Das wirkte. Mit einem Male trocknete Miezchen seine Tränen weg und gab keinen Laut mehr von sich, denn den großen, roten Zuckerhahn vom Christbaum zu erlangen, war Miezchens allergrößter Wunsch gewesen, er war aber bei der Teilung auf Ottos Teil gefallen und Miezchen hatte den Verlust nie verschmerzen können. Wie nun alles im Geleise war und die Kinder den Berg hinanstiegen, wurde verhandelt, was es denn für ein Mann könne gewesen sein, der das Miezchen habe totschlagen wollen.

„Ach was, totschlagen“, rief Otto dazwischen; „ich habe schon lange gemerkt, was es war, wir haben ja im Herunterfahren den großen Mann mit dem dicken Stock auch angetroffen, er mußte unseren Schlitten ausweichen in den Schnee hinein, das machte ihn böse, und wie er dann hintenan das Miezi allein antraf, hat er es ein wenig erschreckt und seinen Zorn an ihm ausgelassen.“

Empfohlene Zitierweise:
Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_198.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)