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fuhr es, wie immer, hinter dem Bruder her, nur konnte er jetzt nicht, wie sonst, seinen Schlitten langsamer fahren lassen, wenn Miezchen zurückblieb, denn er war in der Gewalt des Zuges. Jetzt ging es los, und herrlich und ohne Anstand glitt die lange, lange Kette die glatte Bahn hinunter.

Mit einem Mal hörte Otto ein ganz furchtbares Geschrei, und er kannte die Stimme wohl, die es ausstieß, es war Miezchens Stimme. Was war da geschehen? Otto hatte keine Wahl, er mußte die Lustpartie zu Ende machen, wie groß auch sein Schrecken war. Aber kaum unten angelangt, riß er sein Schlittenseil los und rannte den Berg hinan; alle anderen hinter ihm drein, denn fast alle hatten das Geschrei vernommen und wollten auch sehen, was los war. An der halben Höhe des Berges stand das Miezchen neben seinem Schlitten und schrie aus allen seinen Kräften und weinte ganze Bäche dazu. Atemlos stürzte Otto nun herzu und rief: „Was hast du? Was hast du?“

„Er hat mich – er hat mich – er hat mich“, schluchzte Miezchen und kam nicht weiter vor innerem Aufruhr.

„Was hat er? Wer denn? Wo? Wer?“ stürzte Otto heraus.

„Der Mann dort, der Mann, er hat mich – er hat mich totschlagen wollen und hat mir – und hat mir – furchtbare Worte nachgerufen.“

So viel kam endlich heraus unter immer neuem Geschrei.

„So sei doch nur still jetzt, hör' Miezchen, tu' doch nicht so, er hat dich ja doch nicht totgeschlagen; hat er dich denn wirklich geschlagen?“ fragte Otto ganz zahm und teilnehmend, denn er hatte Angst.

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_197.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)