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wußte ja, in den sauren Apfel mußte nun gebissen werden, oder morgen folgte die erniedrigende Strafe des Festsitzens, die wollte er nicht an sich kommen lassen. Er trat ein, aber beim ersten Schritt blieb er verwundert stehen: völlig aufgeräumt lag die Schulstube vor ihm, kein Fetzchen und kein Stäubchen nirgends mehr zu sehen; die Fenster standen offen und lieblich strömte die Abendluft in die geputzte Stube hinein. In dem Augenblick trat der Lehrer aus seiner Stube und schaute verwundert um sich und auf den starrenden Otto. Dann ging er zu diesem hin und sagte ermunternd: „Du darfst wirklich dein Werk anstaunen, das hätte ich dir nicht zugetraut. Du bist ein guter Schüler, aber im Aufräumen hast du heute alle übertroffen, was sonst bei dir nicht der Fall war.“ Damit ging der Lehrer fort, und als sich Otto noch mit einem letzten Blick überzeugt hatte, daß er die Wirklichkeit vor sich sah, sprang er vor Freuden in zwei Sätzen die Treppe hinunter und über den Platz weg, stürmte die Halde hinauf, und erst als er der Mutter das wunderbare Ereignis mitteilte, fing er an zu denken, wie es sich wohl so begeben hatte.

„Aus Versehen wird wohl keiner für dich aufgeräumt haben“, sagte die Mutter; „hast du etwa einen guten Freund, der sich so edelmütig für dich aufopfert? Denk doch einmal nach, wie es sein könnte.“

„Ich weiß es“, sagte Miezchen entschieden, das eifrig zugehört hatte.

„Ja, wer denn?“ rief Otto, teils neugierig, teils ungläubig.

„Der Mauserhans“, erklärte Miezchen mit voller Überzeugung, „weil du ihm einen Apfel gegeben hast vor einem Jahr.“

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_185.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)