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weinte und von Zeit zu Zeit sagte es halblaut: „Mutter!“ Sie gab keine Antwort mehr. Da sagte Wiseli, sich zu ihr hinbeugend: „Gelt, Mutter, du hörst mich wohl, wenn du jetzt schon im Himmel bist, und ich dich nicht mehr hören kann.“ So saß das Wiseli noch neben seiner Mutter und hielt sie fest, als schon die Mittagszeit vorüber war. Da trat der Vetter-Götti in das Stübchen, schaute sich ein wenig darin um und rief dann die Nachbarin herein. „Ihr müßt die Frau hier zurecht machen, Ihr wißt schon, wie ich meine“, sagte er, „so daß alles fertig ist zum Wegholen. Dann nehmt den Schlüssel zu Euch, daß da nichts wegkommt.“ Dann wandte er sich zu Wiseli und sagte: „Wo sind deine Kleider, Kleines? Such sie zusammen und pack sie in ein Bündelchen, dann gehen wir.“ – „Wohin gehen wir denn?“ fragte Wiseli zaghaft. – „Heim gehen wir“, war die Antwort; „an den Buchenrain, da kannst du bei uns sein, du hast niemand mehr auf der Welt, als deinen Vetter-Götti.“ Das Wiseli befiel ein lähmender Schrecken, – nach dem Buchenrain sollte es gehen und da daheim sein. Es hatte von jeher eine große Furcht vor der Base gehabt und jedesmal eine Zeitlang vor der Tür gewartet, wenn es dem Vetter-Götti etwas hatte berichten müssen, aus lauter Angst, die Base fahre es an. Dann war der älteste Sohn im Hause, der gewalttätige Chäppi, und dann kamen noch der Hans und der Rudi, die warfen allen Kindern Steine nach. Bei denen sollte es nun daheim sein.

Das Wiseli stand bleich und unbeweglich vor Schrecken da. „Du mußt dich nicht fürchten, Kleines“, sagte der Vetter-Götti freundlich; „es sind wohl mehr Leute bei uns im Hause als da, aber das ist desto lustiger für dich.“

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_160.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)