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„jetzt weiß ich gewiß, wer einmal den großen Topf Honig in die Küche gestellt hat, von dem du so gern aßest, und vor ein paar Tagen die Apfelkuchen; weißt du, Mutter, du wolltest durch die Trine danken lassen, als sie dir etwas Gekochtes brachte, und sie sagte, sie wisse von allem dem gar nichts. Das hat sicher alles der Schreiner Andres heimlich in die Küche gestellt.“

„Das glaube ich auch“, sagte die Mutter und wischte sich die Augen. – „Es ist ja nichts Trauriges“, sagte Wiseli ein wenig erschrocken, als sie die Mutter immer wieder die Augen wischen sah.

„Du mußt ihm einmal danken, Wiseli, ich kann es nicht mehr. Sag es ihm einmal, ich lass' ihm danken für alles Gute; er hat es so gut mit mir gemeint. Komm, sitz ein wenig zu mir heran“, fuhr sie leise fort; „gib mir auch noch einmal zu trinken, und dann komm und sag mir das Verslein, was ich dich gelehrt habe.“

Wiseli holte noch einmal Wasser und goß von dem frischen Saft hinein, und die Mutter trank noch einmal begierig davon; dann legte sie müde ihren Kopf auf das niedere Gesims am Fenster und winkte das Wiseli zu sich. Es fand aber, da liege die Mutter zu hart, holte ein Kissen aus ihrem Bett herbei und legte es sorgfältig unter den Kopf; dann setzte es sich dicht neben sie auf den Schemel und hielt ihre Hand fest in der seinigen, und wie sie gewünscht hatte, sagte es nun andächtig sein Verslein her:

„Befiehl du deine Wege,
Und was dein Herze kränkt,
Der allertreusten Pflege
Des, der den Himmel lenkt.

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_157.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)